Metakritische Reflexionen zum Beitrag „Von Läusemenschen – Versuch einer metaanthropozentrischen Kantlektüre“

Metakritische Reflexionen zum Beitrag „Von Läusemenschen – Versuch einer metaanthropozentrischen Kantlektüre“

Indem der Beitrag „Von Läusemenschen – Versuch einer metaanthropozentrischen Kantlektüre“ seine Thesen durch Collagen direkter Zitate Gestalt annehmen und dabei den Leser*innen Raum zur Entwicklung ihrer eigenen Lesart lässt, entspricht er nicht der gängigen akademischen Praxis, durch kommentierte Paraphrasierung eine bestimmte Lesart voranzutreiben. Meine Perspektive als Autor des Beitrages wird durch die Auswahl der Zitate, die dialektische Gliederung in drei Abschnitte („Anthropozentrismus“, „Postanthropozentrismus“ und „Metaanthropozentrismus“) sowie kurze Einordnungen zwar angedeutet, aber nicht ausbuchstabiert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Schmälert die Montage als Collage die Wissenschaftlichkeit des Beitrages?

Zur Beantwortung dieser Frage lohnt ein Blick in Jacques Derridas Werk „Glas“[1], dessen Seiten in zwei Kolumnen aufgeteilt sind, von denen die linke Derridas Dekonstruktion der hegelschen Philosophie und die rechte Zitate aus den Werken des Schriftstellers Jean Genet präsentiert, wobei das Herstellen einer Verbindung zwischen den beiden Kolumnen den Leser*innen obliegt. Würde ein in diesem Stile, aber ohne Derridas Namen verfasster und als Examensarbeit an einer Hochschule oder als Aufsatz bei einer peer-reviewten Zeitschrift eingereichter Text in der Begutachtung bestehen?

Wenn der Ausgangspunkt der Philosophie, der Mutter aller heutigen Wissenschaftsdisziplinen, der Versuch ist, mit dem uns gegebenen Verstand zu einem vertieften Verständnis der Welt, in die wir uns geworfen finden, zu gelangen, ist es dann nicht von sekundärer Bedeutung, auf welche Art und Weise ein Text seinen reflexionsanregenden Beitrag dazu leistet? Sollte eine pluralistische Wissenschaftswelt nicht auf jeden Formenzwang verzichten und vielmehr die „Heteromorphie der Sprachspiele“[2] begrüßen? Sind formale Konventionen in einem Verständnis von Wissenschaft als permanentem Prozess der Reflexion unserer Wirklichkeitskonstruktionen der für sie essenziellen Multiperspektivität nicht eher hinderlich als förderlich?


Über den Autoren: Thomas Tews ist Kulturwissenschaftler, freier Autor und Lehrer für Deutsch und Demokratiebildung in einer Vorbereitungsklasse für geflüchtete und migrantische Kinder an einer Stuttgarter Schule.


[1] Jacques Derrida, Glas. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek und Markus Sedlaczek. Wilhelm Fink, München 2006.

[2] Jean-François Lyotard, Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hrsg. von Peter Engelmann. Aus dem Französischen von Otto Pfersmann. 4., unveränderte Neuauflage. Passagen, Wien 1999, S. 191.

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