Der Begriff KI wurde 1955 von John McCarthy geprägt.
Führende US-Computerwissenschaftler, Mathematiker und Linguisten für ein Forschungsprojekt trafen sich für eine Vision: Selbstlernende Maschinen lösen Aufgaben, für die menschliche Intelligenz vorausgesetzt wird – die KI. Seither gehören ‚Wahrnehmen‘ und ‚Erkennen‘ zu den größten Fortschritten, wie z. B. Bild- und Spracherkennung, Sprachassistenz.
Ein Meilenstein der Wissenschafts- und beginnenden Technikethik war 1975 die Konferenz von Asilomar; dort publizierten Gentechniker ihre Verpflichtung zur Verantwortungsübernahme. Damit thematisierte sich die Verantwortung von Wissenschaftlern und Ingenieuren.
Der philosophische Diskurs zu ethischen Fragestellungen der Technik hatte mit Hans Jonas´ Prinzip Verantwortung (1979) [1] seinen Durchbruch. Bis in die 1990er galt die Technik als wertneutral und es wurden die moralisch ethischen Probleme in Entwicklung, Gestaltung und Umgang mit der Technik reflektiert (aus: Grunwald, 2013. [2] In: Radder, 2009 und Van de Poel, 2009). Seit den 1980er Jahren nahm die Literatur zur Technikethik, konzentriert auf zwei Bereiche, zu: die Ingenieursethik auf das Berufsethos bezogen und ethische Fragen zu den neu entwickelten Technologien. Da die zunehmenden technologischen Möglichkeiten in Abhängigkeit mit steigendem technologischem Fortschritt die menschlichen Entscheidungswege komplexer, und die Unabhängigkeiten von Natur und Tradition und Handlungs- und Gestaltungsspielräumen immer größer werden lassen, wird nach Sicherheit und Orientierung gesucht. Die Technikfolgenabschätzung ist ein Instrument, um die normativen Orientierungen zu reflektieren und Handlungsoptionen und Lösungsansätze zu entwickeln. Seit 2010 wurde KI weltweit zunehmend eine boomende Technologie mit dem Ziel, die kognitiven Fähigkeiten in automatisierten Abläufen und Simulationen abzubilden. Das DFKI legt mit der Plattform „Lernende Systeme“ einen Schwerpunkt auf die anwendungsorientierte Forschung. Die Aufgabe lautet: KI gestalten – zum Wohl der Gesellschaft. So nahm die wissenschaftliche Forschung zu einer menschgerechten KI an Fahrt auf, insbesondere in Philosophie, Theologie, Rechts-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Die in Politik und Gesellschaft aufkommenden ethischen Fragestellungen rund um Gentechnologie, Bioethik und KI führten zum Begriff der Technikethik. Technikethik ist als eigenständige Wissenschaft der Philosophie zuzuordnen und Grunwald federführend mit seiner Forschung zur Technikfolgenabschätzung. Einhergehend mit der Forschung zu einem vertrauensvollen Umgang mit KI wurden branchen- und unternehmensspezifische Ethik Codexe entwickelt, nicht zuletzt um dem rechtlichen Druck aufgrund von Diskriminierungsvorwürfen zu begegnen. Gegenwärtig wird Fairness und Vertrauen diskutiert – ethisch problematisch ist gerade, ob der Homo-mensura-Grundsatz noch der ausschlaggebende ist und inwieweit gerade KI nicht mehr nur den Menschen unterstützt, sondern die Deutungshoheit über die menschliche Lebenspraxis übernimmt.
Digitale und KI Technologien und das damit verbundene Problem, menschliche Kontrolle zu gewährleisten, nehmen zu. Sie stellt den Menschen vor neue technikethische Herausforderungen. So wird verstärkt auf Feldern der Ethik in diesen technischen Bereichen geforscht, d.h. das Interesse an der vom Mensch geführten Technik ist gestiegen. Zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele wird zunehmend der ethische Umgang mit der Technik bewertet. Die Allgemeine Europäische Datenschutzverordnung 2016 hat den Schutz der Persönlichkeit, der Schutz von Daten und Privatsphäre in rechtlich regulierbare Kategorien im Umgang mit Digitalisierung und KI strukturiert.
Die Feststellung, dass Vertrauen in die neue Technik und Verständnis ihrer Funktion nur durch Aufklärung, Bewusstseinsbildung und Transparenz geschaffen werden können, führte zu Begriffen wie „Erklärbarmachung von KI“ (engl. Explainable AI), „Vertrauenswürdiger KI“ (engl. Trustworthy AI), „Verantwortungsvoller KI“ (engl. Responsible AI), „Menschzentrierte KI (engl. „Human-Centered AI), „Ethisch ausgerichtetes Design von KI“ (engl. Ethically Aligned Design of AI). Federführend forscht der IEEE 2019 zu „Ethisch ausgerichtetes Design: Eine Vision zur Priorisierung des menschlichen Wohlbefindens mit autonomen und intelligenten Systemen.“ Der IEEE, weltgrößter Ingenieursverband, erarbeitete den ersten Ethikstandard für die Technikentwicklung. Der Verband implementiert so ein ethisch ausgerichtetes Design von KI in autonomen und intelligenten Systemen (engl. Ethically Aligned Design). Auf internationaler Ebene forschen u.a. die Standford University California mit ihrem „Institute for Human-Centered AI“ (Standford HAI). Im Silicon Valley begleiten ethische Aspekte den Technikfortschritt. Risiken, die die KI birgt, und Konsequenzen, die sich für Menschen ergeben, werden auf das Gemeinwohl geprüft und Zukunftsvisionen mithilfe von Leitlinien der entsprechende ethische Rahmen gegeben. D. h. praktisch angewandte Ethik in Forschung und Entwicklung fest verankert auf Basis einer christlichen Haltung, begleitet von regelmäßigen Tagungen mit Jesuiten. Regeln, Moral und Werte helfen, die KI Technologien werteorientiert zu entwickeln.
Der Mensch im Zentrum der Technik. Dass die Technik menschgeführt entwickelt, in der Praxis angewandt und den neuen Anforderungen angepasst wird, und dabei der Orientierung an moralisch ethischen Werten und konkreten Handlungsprinzipien bedarf, wusste bereits Immanuel Kant im Ansatz (1791). Die Ethik (von griechisch ‚ethike‘: sittlich, vernünftig, moralisch) als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin, geht auf ihren Begründer Aristoteles im 4.Jh v. Chr. zurück. Hier bilden die Tugenden die innere Richtschnur jedes Handelns: „Jedes Handlungswissen (technē) und jedes wissenschaftliche Vorgehen (methodeos), ebenso jedes Handeln (praxis) und Vorhaben (prohairesis) strebt, so die verbreitete Meinung, nach einem Gut (agathon ti) “. Bei der Forschung mit Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen geht es um eine verantwortbare Praxis. Den Menschen, dessen Werte und dessen ethische Ansätze in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Forschungsdiskurses im Umgang mit der Digitalisierung und KI zu stellen, belegen ethische Handlungsempfehlungen aus Kirche, Politik und Forschung. Die Fachliteratur spiegelt den breiten Diskurs zu einer menschzentrierten KI Gestaltung mit Titeln wie „Möglichkeit des Guten – Ethik im 21. Jahrhundert“, der „Digitale Ethik – Ein Wertesystem für das 21. Jahrhundert“ [3]. Eine Tiefenuntersuchung bietet „Digitaler Humanismus – Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz“ [4]. Heidenreich reflektiert in „Postmonetär denken – Netzwerke, Algorithmen und KI“. Die Philosophin Lenzen [5] hinterfragt als freie Wissenschaftsjournalistin Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Kognitionsforschung und ergründet: „KI – Was sie kann und was uns erwartet“. Katharina Zweig [6] diskutiert in ihrem Buch „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können.“ Zentraler Kern in allen Überlegungen: die Wahrnehmung gesellschaftlicher Verantwortung! Ein Bewusstsein schaffen, dass wir in einer gemeinsamen Welt leben, die wir alle miteinander teilen.
In erfolgreichen Unternehmen, in denen eine Ethikstrategie fest verankert ist und zur gelebten Kultur zählt, existiert das Bewusstsein um die Wertschöpfungspotenziale von Digitalisierung und KI Methoden und eine hohe Mitarbeiteridentifikation im gesamten Unternehmen. Die vielerorts fehlenden gesetzlichen, rechtlichen Ethik-Standards, die individuell unterschiedlichen Auffassungen von Ethik, machen es besonders deutlich: es kommt auf jeden einzelnen und den fachübergreifenden Zusammenschluss an, Werte als Richtschnur in der digitalen Transformation am Bau einzubinden.
Wie die Ergebnisse meiner Befragungen und Forschungsstudien belegen, mangelt es in Deutschland noch am Bewusstsein in der Baubranche, sich den wertvollen Zugewinn, die die Betrachtungen und Herangehensweisen aus anderen Fachdisziplinen bieten, zu eigen zu machen, den Vorteil darin zu erkennen, beispielsweise im Bereich Technik die gesellschaftlichen, ethischen Ansätze aufzugreifen, in die Konzeption miteinzubinden. Gleiches gilt für den philosophischen Bereich, der zunehmend gefordert ist, sich mit den technischen Herausforderungen unserer Zeit, den neuen Technologien, der Digitalisierung auseinanderzusetzen. Die Herausforderung besteht zunehmend darin, sich in andere Fachdisziplinen hineinzudenken, um Abwäge- und Entscheidungsprozesse ganzheitlich anzupacken und am gesellschaftlichen Wohl auszurichten.
Der Schlüssel zum Erfolg ist für alle Unternehmen der Aufbau von Wissen zu Digitalisierung und KI und der verantwortungsvolle Umgang. Krisenzeiten beweisen einmal mehr, dass die digital gut aufgestellten Unternehmen handlungsflexibel sind und Ihre Arbeit weiterführen können. Was kann KI, wo liegen Vorteile aber auch Risiken, wie muss mit KI verantwortlich umgegangen werden? Nur mithilfe der Beantwortung kann es gelingen, den Menschen mitzunehmen, KI erklärbar zu machen, Vertrauen zu schöpfen und den Prozess mitzugestalten. Vertrauen in die Technik gelingt durch die gemeinsame ethische Abwägung des Einsatzes einer technischen Methode, Verstehen der Funktionen, Nachvollziehbarkeit der Strukturen, Transparenz, aber auch Kommunizieren von Gefahren und Risiken mit geregelten Kontrollmechanismen und sicherer und zuverlässiger Gestaltung. Wenn der Mensch begreift, dass er es selbst in der Hand hat, wie er digitale Einsatzfelder abgrenzt, und selbst die notwendigen Rahmenbedingungen – insbesondere die ethischen – festlegt, wächst sein Bewusstsein für seine verantwortliche Rolle in der digitalen Weichenstellung.
Die gelebte Wertekultur im Unternehmen ist fruchtbarer Nährboden für ein werteorientiertes, innovatives Handeln, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und effizientere Abläufe.
Ausblick
Das komplexe Wirkungsfeld der digitalen Transformation wirft die Fragestellung auf, wie das volle Potenzial der Digitalisierung und KI im Bauwesen für den Menschen sinnvoll und verantwortungsvoll ausgeschöpft werden kann, und entsprechende Akzeptanz des Wertediskurses um eine den Menschen unterstützende KI im Bauwesen erreicht werden kann. Um technisch-digitalen Fortschritt und Humanität zu vereinen, bedarf es weiterführender Forschungsarbeit und umfassender Veränderung lang eingespielter Vorgehensweisen.„In den Technikwissenschaften ist es längst noch nicht angekommen, daß mit Werten und Prinzipien gearbeitet wird und die Ethikschulung bereits in der Ausbildung verankert sein muß.“ bestätigt Janina Loh [7]. Das bedeutet – mit Blick auf die zur Verfügung stehenden, bisher ungenutzten Fördermittel – ein Meilenstein für den Forschungs- und Bildungsstandort Deutschland.
Der gesellschaftliche Wandel in der KI Debatte ist spürbar und es ist ein großer Wille vorhanden, den Anteil an der Wertschöpfung zu steigern. Dennoch: nur mit Code of Conduct, Ethik Code, Corporate Compliance Standards und der Stelleneinrichtung von Ethics Officer ist es nicht getan; sie kann leicht zu einer Marketingveranstaltung werden.
Zu einer ausgewogenen Evaluierung von Sinn und Unsinn, sowie Lokalisierung, Notwendigkeit und Form des Einsatzes von KI bedarf es fachlicher Expertise von Ingenieuren, die von ebenso fachlich kompetenten Lehrenden ausgebildet werden müssen. Fachliche Schnittstellen müssen eng vernetzt werden. Die Lernkurve steilzuhalten und das Thema, das von so hoher gesellschaftlicher Relevanz ist, konstruktiv und innovativ anzupacken, ist eines der wichtigsten Anliegen der Autorin.
Die Autorin sieht die aktuellen Tendenzen besorgniserregend, die im Bauwesen verankerte traditionell konservative Haltung als größte Hürde und fühlt eine große Verantwortung, über Vorteile und Einsatzfelder innovativer Technologien, Chancen, Potenziale und Problemfelder, Risiken aufzuklären, damit der digitale Wandel am Bau mitgestaltet werden kann. In meinen Untersuchungen habe ich festgestellt, dass es im Digitalisierungsprozess keine Akzeptanz von nicht werte- und ethikkonformem Verhalten geben darf.
Deshalb spreche ich Ihnen, liebe Leser*innen meine höchste Anerkennung dafür aus, dass Sie Stellung in diesem Diskurs beziehen und Ihr Vertrauen schenken. Ihre Gedanken sind wichtig für die glaubhafte konstruktive Auseinandersetzung und die Bewahrung unserer Werte. Sie sind herzlich eingeladen, Ihre Reflexionen in eine Beitragskommentierung einfließen zu lassen, den fachübergreifenden Austausch mit Ihren Gesprächspartnern zu nutzen, damit Sie Betrachtungsweisen Ihres Gegenübers vernetzen. Sie können für Ihren Bereich davon profitieren. Lassen Sie uns gemeinsam Mehrwerte stiften, den digitalen Wandel sinnvoll mitgestalten und mit Leben füllen.
Über die Autorin: Dipl.-Ing. (FH) Bianca Christina Weber-Lewerenz, Bauingenieurin und philosophische Autodidaktin, will der Komplexität der Problemstellungen rund um digitale Technologien und KI gerecht werden, sowie menschliche und technische Potenziale in Einklang halten. Mit dem Wunsch nach mehr Mut und Innovationswille möchte sie Bewusstsein durch Mehrwissen und Aufklärung stiften. Gerade vom Handwerk, wo viel Stärke, Selbstbewusstsein und Potenziale liegen, erwartet man diesen Mut. Die Veränderungen von Technologien und Wertekultur am Bau verfolgt sie seit ihrer handwerklichen Ausbildung zur 1.Maurerin Baden-Württembergs, Studium, sehr viel Praxis, Selbständigkeit, VDI MINT-Mentoring, Wirken bei den Spitzenfrauen Baden-Württemberg und nun in ihrem Forschungsprojekt. Von der Pike auf gelernt bis hin zur wissenschaftlichen Forschung, bindet sie ihr umfassendes Fachwissen mit ein, um praxisnahe, ethisch ausgerichtete Wege für eine erfolgreiche, nachhaltige digitale Transformation aufzuzeigen. Mit ihrer Exzellenzinitiative ist sie Vertreterin für eine sinnvolle, menschgerechte KI in der Bauindustrie. Ihre Erkenntnisse fliesen in Forschungsstudien, Konferenzen ein, u.a. in die T20 Konferenz 2021 in Vorbereitung der Entscheidungsvorlagen für den G20-Gipfel 2021 mit ein.
Studium Bauingenieurwesen Konstanz, Mainz und Stellenbosch, Südafrika. Leitung von Bauprojekten im In- und Ausland. 7 Jahre Arbeits- und Lebensmittelpunkt in Beijing, China. Selbständig als Bauberaterin. Seit 2014 Bianca Weber-Lewerenz Engineering. Seit 2019 Forschungsprojekt zu „Die unternehmerisch verantwortungsvolle Digitalisierung im Bauwesen – Ethische Grundsätze im Umgang mit der Digitalisierung und KI“. Sie publiziert in deutschen und internationalen Fachjournalen. Um wissenschaftliche und gesellschaftliche Aspekte ganzheitlich zu untersuchen, kooperiert sie mit Forschungseinrichtungen und Stiftungen.
Dieser Beitrag wurde von zwei anonymen Gutachter*innen gereviewed und durch das Team von philosophike redaktionell betreut.
[1] Jonas, Hans (1979). Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für dietechnologische Zivilisation. 7. Auflage 2003, Suhrkamp Verlag Berlin.
[2] Grunwald, Armin und Hillerbrand, Rafaela (2013). Handbuch Technikethik. 1. Auflage2013, J. B. Metzler Verlag, Stuttgart.
[3] Spiekermann, Sarah (2019). Digitale Ethik: Ein wertebasiertes System für das 21. Jahrhundert. 3. Auflage. 2019. Droemer HC Verlag, München.
[4] Nida-Rümelin, Julian und Weidenfeld, Nathalie (2018). Digitaler Humanismus: EineEthik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz. 4. Auflage 4. September 2018, Piper Verlag GmbH.
[5] Lenzen, Manuela (2019). Künstliche Intelligenz: Was sie kann & was uns erwartet. 3. Auflage. C.H.Beck Verlag, München.
[6] Zweig, Katharina (2019). Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl. Wo künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können. 1. Auflage 14. Oktober 2019, Heyne Verlag.
[7] Loh, Janina (2018). Künstliche Intelligenz und Ethik: Alles gut, oder was? Roboter Ethikerin, Institut für Philosophie, Universität Wien, Österreich Podiumsdiskussion am 05. Dezember 2018, Telekom Zentrale, Bonn.