Kein verflixtes siebtes Jahr: Weshalb PEGIDA noch immer in Dresden demonstriert

Kein verflixtes siebtes Jahr: Weshalb PEGIDA noch immer in Dresden demonstriert

Das Geheimnis von PEGIDAs langem Überleben ist die Ritualisierung und Selbstbezogenheit des rechtspopulistischen Straßenprotests.

Der 17. Oktober 2021 war ein besonderes Datum im Veranstaltungskalender der deutschen rechtspopulistischen Szene: die selbstbenannten „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ (PEGIDA), eine der größten und langlebigsten rechten Protestbewegungen Deutschlands, feierte ihren siebten Jahrestag. Zu diesem Anlass organisierte die Gruppe um Anführer Lutz Bachmann eine öffentliche Demonstration auf dem Dresdner Altmarkt im Herzen des historisch rekonstruierten Stadtzentrums. Über 2.500 Gegendemonstrant*innen stellten sich PEGIDA entgegen, die auf der gegenüberliegenden Seite des Altmarkts und somit in Hör- und Sichtweite gegen die Veranstaltung protestierten. Etwa 40 zivilgesellschaftliche Organisationen und Parteien aus Dresden und der Region hatten im Vorfeld mobilisiert.

Als Nachwuchswissenschaftlerin mit Interesse an der deutschen Rechtsaußen-Bewegung und insbesondere an PEGIDA habe ich an der Geburtstagsveranstaltung an jenem sonnigen Sonntagnachmittag teilgenommen und sie strukturiert beobachtet. Konkret habe ich als zum wiederholten Male teilnehmende Beobachterin systematisch Details zu Struktur und Inhalten der Versammlung in Notizen und Fotos erfasst, wobei ich ein besonderes Augenmerk auf ihre diskursiven und symbolischen Eigenschaften gelegt habe. Obgleich die Veranstaltung mit weniger als 1.000 Teilnehmenden nicht so gut besucht war wie in den vergangenen Jahren, scheint mir PEGIDA das sprichwörtliche „verflixte siebte Jahr“ recht unbeschadet überstanden zu haben. Das Motto der Organisatoren – „Wir sind gekommen, um zu bleiben// Wir bleiben, bis wir siegen// Und wir werden siegen!“ – ist weiterhin Programm.

Eine ritualisierte Feier

Langjährigen Beobachter*innen bot PEGIDAs Jahrestag nur wenige Überraschungen. Wie in früheren Jahren hatte PEGIDA eine Bühne errichtet und beging den Geburtstag stationär auf dem Altmarkt.[1] Auch brachte die etwa dreistündige Veranstaltung wieder Gastredner aus der deutschen und europäischen Rechtsaußen-Szene zusammen. Unter ihnen waren lokal bekannte Aktivisten von befreundeten Initiativen, Politiker der selbstbenannten Alternative für Deutschland (AfD) und Repräsentanten von „alternativen Medien“. Zusätzlich traten „Runa NDS“ und „Prototyp“ aus der identitären Musikszene auf.

Wie üblich dominierten abfällige Kommentare zu Einwanderung, Islam, linker Politik sowie zur deutschlandweiten und regionalen Corona-Politik die Reden an diesem Nachmittag. Die islamfeindlichen Aktivisten Irfan Peci (der „Islamistenjäger“) und Tommy Robinson (ehemaliger Anführer der English Defence League) agitierten gegen „den radikalen Islam“. Beide Reden wurden anschließend der Staatsanwaltschaft zur Prüfung auf verfassungsfeindliche Inhalte vorgelegt.[2] Jürgen Elsässer, seines Zeichens Herausgeber des bekannten rechten Magazins „Compact“, hetzte gegen die Grünen, die er als „gefährlichste politische Partei“ bezeichnete.

Nach rund drei Stunden Reden und Musikeinlagen, unter anderem von der Rapperin „Runa NDS“, beschloss das gemeinsame Singen der dritten Strophe der deutschen Nationalhymne die Veranstaltung. Im gemeinschaftlichen Ritual hoben Redner und Gäste auf der Bühne sowie die Demonstrierenden auf dem Platz feierlich ihre Hände zur Brust. Während im Anschluss einige wenige Teilnehmende Bachmann, Peci, Robinson, Elsässer und Co. hinter der Bühne aufsuchten, löste sich die Menge rasch auf.

Österreichs HC Strache als Überraschungsgast

Wen an dem Sonntag eigentlich niemand in Dresden erwartet hatte, war der diesjährige Ehrengast: Heinz-Christian Strache hielt als Politiker der rechtspopulistischen „Freiheitlichen Partei Österreichs“ (FPÖ) und ehemaliger österreichischer Vize-Kanzler überraschend die Abschlussrede. In knapp 30 langen Minuten legte „HC Strache“ im Einklang mit den typischen PEGIDA-Inhalten seine Sicht auf die Einwanderung aus mehrheitlich muslimisch geprägten Ländern, Europa und eine sogenannte europäische Zivilisation sowie die angebliche derzeitige kommunistische Gefahr durch die Regierungsparteien Deutschlands und Österreichs dar.

Auch nutzte Strache den Auftritt, um Position zur sogenannten Ibiza-Affäre zu beziehen – dem Korruptionsskandal vom Mai 2019, in dessen Verlauf er sein Amt als Vize-Kanzler verloren hatte und die Regierungskoalition mit der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) zerbrach. Im gleichen Tenor wie in dem nur wenige Tage zurückliegenden und aufsehenerregenden Interview[3] mit dem österreichischen Journalisten Niki Fellner wiederholte Strache, dass er in eine Falle gelockt worden sei: Zu dem Zeitpunkt, an dem er fragwürdige Vereinbarungen mit der angeblichen Nichte eines russischen Oligarchen traf, sei er „besoffen, komplett besoffen“ gewesen.

PEGIDAs seltsam langes Überleben

Der Überraschungsbesuch von der österreichischen Politprominenz war bei weitem nicht der einzige und sicherlich nicht der ausschlaggebende Grund, weshalb PEGIDA im Oktober 2021 einen weiteren Jahrestag begehen konnte. Meiner ethnographischen Betrachtung zufolge zählt die Ritualisierung und Selbstbezogenheit des Straßenprotests zu den zentralen Erklärungsansätzen für PEGIDAs rätselhaftes langes Überleben – sogar während und über die COVID-19 Pandemie hinaus.[4] Interpretative Zugänge zu politikwissenschaftlicher Forschung verweisen auf das Konzept der constitutive causality, welches einen grundlegenden Zusammenhang zwischen politischen Praktiken und Ideen, Überzeugungen oder Weltanschauungen beschreibt.[5] In diesem Licht erscheint PEGIDAs langjähriger Aktivismus als sinnstiftende kollektive Praxis.

Insbesondere trägt das selbstbezogene Narrativ des resistenten „gewaltlosen Widerstands“ gegen den sogenannten linken Mainstream sowie die dazugehörige historisch aufgeladene Symbolik zu PEGIDAs Überdauern des „verflixten siebten Jahres“ trotz widriger Kontextbedingungen wie dem Versammlungsverbot während der COVID-19-Pandemie oder der gesellschaftlichen Marginalisierung der Proteste bei. Organisatoren und Demonstrierende sind überzeugt, dass die regelmäßigen Proteste die deutsche Demokratie und (!) Rechtsstaatlichkeit vor dem „linksgrünen Totalitarismus/Faschismus“ retten werden.[6] In diesem Zusammenhang beziehen sie sich sowohl rhetorisch als auch symbolisch auf die Friedliche Revolution in Ostdeutschland 1989-90 und besetzen zentrale politische Begriffe wie „Demokratie“, „Bürgerrechte“ und „gewaltloser Widerstand“.[7] PEGIDAs Langlebigkeit ist dabei selbst zum sinnstiftenden Element geworden: Regelmäßig verkünden die Organisatoren stolz, dass „PEGIDA kam, um zu bleiben“. Im Verlauf der Veranstaltung zum Jahrestag machten Redner wiederholt hämische Kommentare über journalistische und wissenschaftliche Kommentator*innen, die der Straßenbewegung eine nur kurze Lebensdauer zugesprochen hatten.[8]

Tatsächlich wurden auf der Veranstaltung kaum externe politische Ziele verlautbart wie etwa konkrete Alternativen zur Politik der Bundes- oder der sächsischen Landesregierung. Die Versammlung diente hauptsächlich dazu, PEGIDA zur ununterbrochenen Mobilisierung in Dresden zu gratulieren: Selbstzufrieden dankten die Organisatoren einander, ihren Gästen und den Teilnehmenden für ihr Durchhaltevermögen über die vergangenen sieben Jahre. Die gegenseitigen Beglückwünschungen und das Überreichen kleinerer Geschenke und Mitbringsel ließ trotz der ausländerfeindlichen Hetze eine geradezu feierliche Stimmung aufkommen. Anführer Bachmann hatte seine übliche Steppjacke sogar gegen ein Jackett eingetauscht.

Die Rhetorik der Gastredner bestärkte PEGIDA-Organisatoren und Demonstrierende in ihrer Überzeugung, einen grundlegenden Beitrag zur Erhaltung der deutschen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu machen. Großzügig sprach HC Strache der Stadt Dresden den Status als „Hauptstadt des Widerstands für die Rettung Europas“ zu. Damit nahm er Bezug auf PEGIDAs inzwischen rituelle Begrüßung zu Beginn der montäglichen Veranstaltungen: „Es ist Montag, der so-und-so-vielte, und wir begrüßen alle Patrioten hier in Dresden, der Hauptstadt des Widerstands!“ In diesem Sinne erhob auch Christoph Berndt, Aktivist im Verein „Zukunft Heimat“ und Vorsitzender der AfD-Fraktion im Brandenburger Landtag, PEGIDA zum „Denkmal“. Jürgen Elsässer ehrte PEGIDA, indem er die Bewegung als einen der „fünf Finger“ einer metaphorischen „Faust“ von koordinierten Rechtsaußen-Akteuren nannte, die neben PEGIDA auch die AfD, die Identitäre Bewegung sowie die „Corona-Rebellen“ umfasse.

Wen interessiert’s?

PEGIDAs seltsamen Überlebens zum Trotz ist das journalistische und wissenschaftliche Interesse an dem Protestphänomen im Verlauf der Zeit gesunken. Seit PEGIDAs Entstehung im Jahre 2014 haben andere rechtspopulistische Akteure die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen, verständlicherweise allen voran die AfD, die bei den Bundestagswahlen im September 2021 zwar rund 2,5% der Stimmen im Vergleich zur Wahl im Jahr 2017 verlor, aber ihre Position an erster oder zweiter Stelle in den ostdeutschen Ländern Sachsen und Thüringen festigte. Meinem ethnographischen Ansatz zufolge bleibt PEGIDA allerdings gerade wegen der starken Ritualisierung und Selbstbezogenheit auch im nun bereits achten Jahr ein relevantes Forschungssubjekt: Die Analyse von ritualisierten Protesten kann zum wissenschaftlichen Verständnis von politischen Praktiken beitragen, denn „Rituale haben trotz und wegen ihrer Wiederholung ihren Sinn“[9].

Letztendlich stellen selbst kleine Rechtsaußen-Bewegungen wie PEGIDA eine zumindest indirekte Gefahr für das demokratische System Deutschlands dar. Obschon die Mitgliederzahlen bei den Demonstrationen während der Pandemie noch weiter gesunken sind und sie sich bei nur einigen hundert Teilnehmenden an den montäglichen Veranstaltungen eingependelt haben, haben PEGIDA und andere Protestakteure im rechtspopulistischen Netzwerk einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf – zumindest lokale und regionale – Politik: Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Stärke der AfD im Osten in Zusammenhang mit der Kooperation zwischen Graswurzelbewegungen und lokaler Parteipolitik steht. In den Parlamenten ist die Partei dann nicht nur maßgeblich für die Verrohung politischer Diskurse verantwortlich, sondern erschwert auch konkrete Prozesse der Koalitions- und Regierungsbildung.

This research is part of a project that has received funding from the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme under grant agreement No. 765224.

Sabine Volk forscht derzeit im Projekt „Now-Time, Us-Space“ am Hub for Emotions, Populism and Polarization an der Universität Helsinki. Vorher war sie Marie Skłodowska-Curie Fellow im von der Europäischen Union geförderten Forschungsprojekt „Delayed Transformational Fatigue in Central and Eastern Europe: Responding to the Rise of Illiberalism/Populism (FATIGUE)“. Sabine Volk hat in internationalen Fachjournalen wie German Politics, European Politics and Society, und Frontiers in Political Science: Comparative Politics publiziert.


[1] Volk, Sabine: „Super Sunday of Demonstrations in Dresden: The Right-wing Populust PEGIDA Movement Celebrates Its Five-year Anniversary“, in FATIGUE Blog, 29.10.2019, https://populism-europe.com/super-sunday-of-demonstrations-in-dresden-the-right-wing-populist-pegida-movement-celebrates-its-five-year-anniversary/

[2] Hofmann, Eric: „PEGIDA-Jahrestag in Dresden: Staatsanwaltschaft prüft zwei Reden“, Tag24, 17.10.2021, https://www.tag24.de/thema/pegida/pegida-jahrestag-in-dresden-staatsanwaltschaft-prueft-zwei-reden-2165848

[3] OE24.TV, „Fellner! Live: Heinz-Christian Strache im Interview“, 11.10.2021, https://www.youtube.com/watch?v=hoJSeYRrxxU

[4] Volk, Sabine (2021): „Die rechtspopulistische PEGIDA in der COVID-19 Pandemie: Virtueller Protest ‚für unsere Bürgerrechte’“, in Forschungsjournal Soziale Bewegungen 34(2), 235-248, https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/fjsb-2021-0020/html

[5] Schwartz-Shea, Peregrine, and Yanow, Dvora (2012): Interpretive research design: concepts and processes, New York: Routledge, 51ff.

[6] Volk, Sabine (2021): „Political Performances of Control During COVID-19: Controlling and Contesting Democracy in Germany“, in Frontiers in Political Science: Comparative Governance 3(38), doi: 10.3389/fpos.2021.654069

[7] Volk, Sabine: „How the German Far Right Appropriates Ideals of Nonviolent Resistance“, in openDemocracy, 25.03.2021, https://www.opendemocracy.net/en/countering-radical-right/how-german-far-right-appropriates-ideals-non-violent-resistance/

[8] Krüger, Daniel, et al., „Ist Pegida am Ende?“, in Sächsische Zeitung, 20.10.2019,  https://www.saechsische.de/plus/pegida-dresden-5-jahre-demo-altmarkt-herz-statt-hetze-bachmann-5130917.html

[9] Rucht, Dieter (2003): „Einleitung: Vom Sinn eines Protestrituals“, in D. Rucht (Hrsg.), Berlin, 1. Mai 2002: Politische Demonstrationsrituale, Wiesbaden: Springer, 13.

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