Zu heteronormativen Denkmustern in queeren Kontexten: Für eine queere Begegnung der Körper – Teil II

Zu heteronormativen Denkmustern in queeren Kontexten: Für eine queere Begegnung der Körper – Teil II

Der erste Teil war eine Rückblende auf Judith Butlers Erkenntnisse über die Entstehung des Subjekts durch Ausschließung und gewaltsame Trennung. Gerade in Formen des ‚sex_uellen‘ Austausches und des Sprechens darüber reproduziert sich diese Trennung. Folgend wird also auf die Begriffe und die Vorstellungen zum ‚Sex_uellen‘, ‚Homo_sexualität‘ und zur ‚sex_uellen Gewalt‘ eingegangen.

Der Konnotierung von Handlungen als sex_uell: Die Vorstellung eines ‚sex_uellen Akts‘ bedingt die Trennung des Austauschs zwischen als getrennt betrachteten Körpern in einen solchen der sex_uell ist und einen solchen, der nicht sex_uell ist. Es wird durch die Behauptung, es sei eine spezifische Nähe der Körper zustande gekommen, eben eine vorher bestehende Trennung der Körper unterstellt, dadurch aber tatsächlich erst hergestellt und durch das Spezielle ihrer Nähe, der vermeintliche Normalzustand ihrer Trennung impliziert und reproduziert. Der Austausch wird dadurch erst als sex_uell konnotiert, von anderen Akten getrennt und als sowohl anders und als auch wegen der behaupteten Empfindlichkeit der beteiligten Organe als besonderer, weil anderer hervorgehoben. Die unter dem Begriff ‚S_ex‘ subsumierten Handlungen werden durch diese Subsumierung also erst ‚sex_uell‘. Wie es Antke Engels so vortrefflich formuliert hat, ist das Ziel der Verqueerung des Sozialen, „postsouveräne Subjekte“ [1] herzustellen, die weder objektifizieren noch aneignen [2] und deren Körper nicht mehr durch biologische Bezüge limitiert sind [3]. Durch diese Auflösung jeglicher Grenzen im Undoing Subject entfällt auch jene Tautologie, die diesen Akt als sex_uell und jenen als nicht sex_uell und die dazugehörigen (sex_uellen, bzw. nicht sex_uellen) Körperteile als Teile markiert.

            Homo- und Heterosexualität: In der Behauptung der Existenz von Homo- und Hetero_sexualität werden die ‚Genitalien‘ derart ins Zentrum des Denkens gerückt, dass um sie herum eine ganze Reihe an Tabus errichtet wird, sodass zwischen denen als Ganzheit konstruierten, sogenannten ‚Genitalien‘ und den restlichen Körperteilen eine Hierarchie entsteht. In den ‚Genitalien‘ wird die Subjektwerdung angesiedelt, indem diese durch ihre Empfindsamkeit als Hort der Souveränität konstruiert werden. So erfährt der von anderen getrennte Körper auch innerhalb seines als Ganzheit behaupteten Selbst eine Aufspaltung: Die ‚Genitalien‘ werden durch die Behauptung ihrer Empfindlichkeit sowohl als Hauptakteur als auch als unantastbar markiert. Dieser Aspekt der Genitalfixierung wird besonders in homosexueller Transfeindlichkeit deutlich, wenn bei Lesbenzusammenschlüssen Vulven zur Dekoration aufgehängt und beim CSD Vulven und Penisse als Kerzen und Seifen in den Mittelpunkt des sexuellen und körperlichen Verständnisses gerückt werden. Trans Frauen bleiben im lesbischen Begehren damit grundsätzlich undenkbar. Es wird durch diese feinen und immer wiederholten Darstellungen der als weiblich konstruierte Körper und seine Ausstattung als Fixpunkt des lesbischen Begehrens festgelegt, ‚S_ex‘ mit einem weiblichen Penis scheint unmöglich. Die geschlechtliche Identität ‚gender‘ wird in den Hintergrund gedrängt und als nicht ausschlaggebend, bzw. als nicht legitimer oder nicht wirklich ernstzunehmender Fixpunkt der Lust beiseite geschoben. Obwohl trans Lesben scheinbar unterschiedslos anerkannt werden, ist es doch gerade die Genitalfixierung der unausgesprochene Pförtner, an dem sie nicht vorbeikommen. Dieses transfeindliche Phänomen, sehr treffend als ‚Cotton Ceiling‘ beschrieben, ist wohl die deutlichste Folge der Genitalfixierung. Bestimmte Körperteile werden genutzt, um zu bestimmen, wer als richtige Frau gilt und wer nicht, wem man Zugang gewährt und wer von vornherein davon ausgeschlossen ist. Ein Lösungsversuch kommt aus dem selbstreflektierten Teil der Community selbst: Mit dem Begriff ‚Fronthole‘ wird bereits eine alltagstaugliche und inklusive Alternative zu dem mit Mythos aufgeladenen Begriff ‚Vulva‘ verwendet. Die neue Bezeichnung ermöglicht es, die starke Hierarchisierung zwischen den Körperteilen zu unterlaufen, die vormals herausstechende Bedeutung der ‚Genitalien‘ einzuebnen, die Trennung eventuell sogar ganz aufzuheben. 

            Die Sinnhaftigkeit dieses neuen Begriffs muss vor allem vor dem Hintergrund betont werden, dass auch die vermeintliche Empfindlichkeit der als Gesamtheit konstruierten, sogenannten ‚Vulva‘ nicht auf transkulturell vitalen ‚Nervenenden‘, sondern auf körperlicher Identifizierung beruht, die so nur im Westen zu finden ist. Wohlgemerkt eine Identifizierung, die niemals abgeschlossen ist, also jederzeit performativ verändert werden kann. In den Begriffen der Homo- und Hetero_sexualität wird jedoch die Behauptung aufgestellt, der als sex_uell konnotierte Akt fixiere sich auf die als geschlechtlich konnotierten körperlichen Merkmale. So werden nicht nur diese körperlichen Merkmale zu ‚Penis‘ oder ‚Vulva‘ vereinheitlicht, durch diese Fixierung wird der sex_uelle Akt auf bestimmte Bereiche beschränkt und dadurch als speziell, eben als ‚sex_uell‘ festgeschrieben: Er ist sex_uell, weil er sich auf Organe bezieht, die für den sex_uellen Akt als vorgesehen markiert werden. Die in dieser Tautologie enthaltene Ausgrenzung reproduziert die Hierarchisierung der Körperteile – bzw. teilt ihn überhaupt erst und trennt ihn erst von ‚anderen‘ Körpern – und beschränkt damit die Lust auf bestimmte Personen. Die Konnotierung der Handlungen als sex_uell und die Genitalfixierung bedingen sich dabei gegenseitig und stehen daher in einem wechselseitigen Verhältnis.

Die Art des genannten sex_uellen Austausches wird zudem unterteilt in diejenigen, die subventioniert und in denjenigen, die sanktioniert werden. Dabei wird der Akt zur Überwindung der körperlichen Grenzen und nicht die vielen Akte ihrer Herstellung als die eigentliche Gewalt missverstanden. Der als sexuell konnotierte Akt, der die Grenzen des Subjekts nicht verletzt, weil er im Rahmen seiner Konstituierung, im Rahmen der Genitalfixierung und dadurch im Rahmen der Trennung der Körper verbleibt, wird als ‚guter‘ Akt markiert. So dient beispielsweise auch das ‚Gewalt‘ im Begriff ‚Ver_gewalt_igung‘ vor allem der Dämonisierung des Körperüberschreitens durch die Markierung des Durchbrechens der männlich-künstlichen Grenzen als die eigentliche Gewalt, und damit selbst dem patriarchalen Subjektdiskurs der Trennung in meinen und deinen Körper.

Die Gemeinsamkeit im Sprechen von S_ex, Homo_sexualität und Ver_gewalt_igung ist die Reproduktion des ‚Anderen‘, vor dem es sich zu schützen gilt; erst durch die Benennung als Andersheit innerhalb des ‚eigenen‘ Körpers in Form der Hierarchisierung der Körperteile und darauf basierend die Herstellung der Trennung zwischen den Körpern. Erst diese Unterscheidung erzeugt die Trennung der Körper, die notwendig für die Illusion meines Subjekts ist. Zu deutlich wird das an der Debatte um Sex_arbeit. Eines der Argumente der ‚Kritiker*innen‘ bezieht sich auf die unterschiedliche Beziehung des Subjekts zu seinen Körperteilen, die eine unterschiedliche Bewertung von Verfügbarkeit zur Folge haben soll. So haben die ‚Kritiker*innen‘ der Sex_arbeit im ersten Moment recht, wenn sie darauf bestehen, dass zu den ‚eigenen‘ Genitalien eine andere Beziehung als zu den ‚eigenen‘ Händen besteht. Ja, die Körperteile – ein Wort, das selbst schon die Teilung auch innerhalb des als ‚eigener‘ definierten Körpers anzeigt – und die Hierarchisierung zwischen ihnen ist tatsächlich aktuell. Doch genau diesen Umstand hinterfragen und kritisieren sie nicht, sie reproduzieren durch ihre Kritik genau diese Hierarchisierung der ‚Körperteile‘. Dass was den Faustschlag von der Penetration unterscheidet, ist lediglich, dass die eine Handlung durch kontingente, jedoch historisch tradierte Diskurse im Westen als ‚sex_uell‘ konnotiert worden ist, weswegen ihr eine Sonderstellung eingeräumt wird, die das Subjekt auch als solche erfährt. Die Hierarchisierung der Körperteile drückt sich darin aus, einige Körperteile mit mehr Empfindlichkeit als andere zu belegen, den Zugang zu den einen Körperteilen wie der Hand allgemeiner zu gewähren (wie beim Handschlag), während der Zugang zu anderen radikal auf ausgewählte Personen beschränkt wird, jene Körperteile damit als besonders, andere als normal zu kennzeichnen. Wechselseitig steht dazu die Hierarchisierung von Austausch; denen, die als sex_uell und denen, die als nicht sex_uell markiert werden, die Akte, die als Verbrechen und jene, die als normal markiert werden. Die eigentlich nicht spezifizierbare Nähe von Körpern erscheint dadurch als besondere Aktion, als Ausnahmehandlung, die nicht jedem zugänglich ist, sondern als Privileg Bestimmter behandelt wird. Teil dieses ausschließenden Subjektdiskurses und der ständig performativ neu reproduzierten Trennung, ist die Verweigerung den als eigenen markierten Körper zu teilen und die Begründung dieser Verweigerung mit der Besonderheit des als sex_uell behaupteten Aktes. Diese Zugänge als erlaubt, jene als verboten zu markieren und damit willkürlich oder im Sinne der bestehenden Machtstrukturen darüber zu entscheiden, wem Zugang zum ‚eigenen‘ Körper gestattet wird und wem nicht. Zu dieser Ausnahmeposition des sex_uellen in Bezug auf Ver_gewalt_igung plädiert Michel Foucault für ein entsexualisiertes Verständnis von Ver_gewalt_igung und die Aufhebung einer hierarchischen Unterscheidung von sex_uellem Akt und nicht_sex_uellem Akt:

„[…] in any case, sexuality can in no circumstances be the object of punishment. And when one punishes rape one should be punishing physical violence and nothing but that. And to say that it is nothing more than an act of aggression: that there is no difference, in principle, between sticking one’s fist into someone’s face or one’s penis into their sex…“ [4]

Das Sex_uelle gilt als deshalb als besonders schützenswert, weil die genitale Ausstattung als Ort der Autonomie festgeschrieben und dadurch mit besonderer Empfindlichkeit für Angriffe belegt wird. Das Wissen über die Genitalisierung des Körpers lässt eine Ver_gewalt_igung also tatsächlich als einen sex_ualisierter Akt erkennen, in dem Sinne, dass zwischen einem Faustschlag und einer Ver_gewalt_igung das Sex_uelle unterscheidet, das aber eben nur durch die Behauptung der Besonderheit der beteiligten Körperteile konstruiert wird.

Es ist also die Verweigerung, sich vom Anderen herausfordern und über den internalisierten Autonomiewahn ‚hinaustragen‘ zu lassen, sich von ihm bewusst ‚enteignen‘ zu lassen, der uns in heteronormativen Strukturen verbleiben lässt. Diese Subjektvorstellung wird schließlich durch die gesetzliche Verankerung im Staat zur gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung manifestiert.

Butler beschreibt den Versuch, Identität – also Abgeschlossenheit und Einheit herzustellen – als verlustreiches Unterfangen, unter dem das dadurch hergestellte Subjekt leidet [5]. Das Ergebnis dieses Subjektdiskurses ist, dass die Grenzen des Körpers konstituiert und deren Überschreitung negativ konnotiert und das Verletztsein durch die Überschreitung ebenfalls performativ eingeübt werden muss. Das Ergebnis des Diskurses ist also nicht die vorgesehene Herstellung tatsächlicher Autonomie, das Subjekt leidet und verzweifelt vielmehr unter der Erfahrung des ständigen Scheiterns dieser Autonomievorstellung durch die Begegnung mit dem ‚Anderen‘. Die Lust am Körper wurde ihm durch die Konstituierung seiner klaren Grenzen und der Aufforderung, diese Grenzen aufrechtzuerhalten, zu verteidigen und der damit implizierten Regulierung von Zugänglichkeit, versagt. Dass was Leid erzeugt, ist auch die Kränkung der eigenen Autonomieillusion durch die Offenbarung der eigenen Grenzen als unhaltbar künstliche. Die Lösung des Problems kann also nicht in dem Ruf nach noch mehr (angeblicher) Selbstbestimmung bestehen, der die Elendsspirale aus Autonomiebehauptung, Othering und Angst vor dem ‚Anderen‘ und schließlich des schmerzhaften Scheiterns dieser Autonomieillusion durch Kontakt mit dem ‚Anderen‘ endlos fortsetzt. Vielmehr muss eine gesamtgesellschaftliche Gegenhegemonie erzeugt werden, deren Ziel es ist, das Subjektsein und den damit verbundenen Autonomiewahn zu überwinden. Das ‚Genitale‘ muss seiner Empfindlichkeit und damit seiner Funktion einer körperlichen Lokalisierung des Autonomiewahns beraubt, das Sich-gegenseitig-Annehmen performativ gelebt und das faktische Einander-Ausgeliefertsein nicht als Bedrohung, sondern als Lust erfahren werden. Angesichts der Tatsache, das wir alle Opfer des Subjektdiskurses geworden sind und ihn selbst täglich reproduzieren – sich die Vorstellung von meinem und deinem Körper in uns allen findet – erscheint das Überwinden dieser selbstgemachten Misere als scheinbar unmöglich. Gewalt ist in jeder Form abzulehnen, gewalttätig ist aber sowohl die Grenzziehung als auch deren Überschreitung, doch können wir uns in den Communitys stets bemühen, die Grenzen nicht noch enger zu ziehen, im Gegenteil daran zu arbeiten, sich aufeinander einzulassen. Gerade als die queere Avantgarde müssen wir vorausgehen und uns gegenseitig voller Zuneigung daran erinnern, wenn wir wieder die cis-heteronormative Erzählung vom Getrenntsein der Körper reproduzieren.

Autor:in: Jessie K. ist nichtbinär und Student_in der Ethnologie und Geschlechterstudien an der HU Berlin und beschäftigt sich vor allem mit Queer Theory und dem Kampf gegen die Cis-Heteronormativität.

[1]. Engels, Antke (2017): A_Sozialität, Multiplizität und Serendipität des Begehrens: Queere Rekonzeptualisierung psychoanalytischer Begehrenstheorien, in: Hutfless, Esther/Zach, Barbara (Hg.), Queering Psychoanalysis: Psychoanalyse und Queer Theory – transdisziplinäre Verschränkungen, Wien, S. 257-301, hier S. 280.

[2]. Vgl. ebd., S. 291.

[3]. Vgl. ebd., 275.

[4]. Foucault, Michel (1988), Politics. Philosophy. Culture. Interviews and other Writings 1977- 1984, Routledge, S. 200.

[5]. Vgl. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S.76f.

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