Zu heteronormativen Denkmustern in queeren Kontexten: Für eine queere Begegnung der Körper – Teil I

Zu heteronormativen Denkmustern in queeren Kontexten: Für eine queere Begegnung der Körper – Teil I

Schien ‚queer‘ mal ein radikaler Rundumschlag gegen jede Form heteronormativen Denkens, Fühlens und Handelns zu sein, so gewinnt die Heteronormativität auf perfide Weise in der queeren Community erneut an Boden. Ein emanzipatorischer Anspruch, gegen den und dessen zugrundeliegenden Vorstellungen eines autonomen Subjekts sich die queere Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse einst richtete, wird mit dem Begriffsrepertoire queerer Analyse vermengt.

Während auf der einen Seite die totale, gesellschaftliche Bedingtheit nicht nur von Geschlecht, sondern auch von Körperlichkeit als solcher richtig erkannt wurde, wird auf der anderen Seite in Communities, aber auch im akademischen Diskurs mit den Begriffen eines cis-männlichen Autonomiewahns, namentlich der Ziele der sogenannten, aber eigentlich zur körperlichen Grenzziehung gedachten ‚Freiheit‘, ‚Gleichheit‘ und ‚Selbstbestimmung‘ hantiert. Durch das Formulieren dieser Ziele mit queerem Begriffsrepertoire werden diese der Kritik entzogen. Ich möchte hier darstellen, dass das auf einen Mangel in der Auseinandersetzung mit den klassisch queeren Analysen und Texten zurückzuführen ist. Ich werde einige Erkenntnisse aus den frühen Jahren queerer Analyse in Erinnerung rufen, deren Ansätze nachzeichnen und konsequent zu Ende denken und dazu auffordern, diese vor allem zu leben: Doing Queerness.

Besinnen wir uns also kurz den Anfängen der Kritik an der Heteronormativität: Judith Butlers Kritik in ihrem Hauptwerk Gender Trouble entlarvte vor allem die Künstlichkeit binärer Geschlechterkonzeption, die sich im Feminismus durch die Trennung zwischen sex, gender und Sexualität, also in der Trennung zwischen einem anatomisch-biologischen Geschlecht (sex), einem sozialen Geschlecht (gender) und einer als davon unabhängig gedachten Sexualität reproduziert. In der Analyse von gender stößt Butler aber weit über Geschlecht hinaus auf ein grundsätzliches Charakteristikum der Moderne: Der wahnhafte Glaube an das souverän autonome Subjekt. Butler erkennt, dass die Geschlechtsidentität einzig und allein der Herstellung dieses modern-männlichen Subjekts dient und sowohl Voraussetzung als auch reproduktive Folge des Kampfes dieses Subjekts um Autonomie ist. Die Illusion des ‚Ich‘ wird als grammatisch vermittelter Aberglaube entlarvt [1]. Das Subjekt offenbart sich lediglich als ”ein maskuliner Effekt der Verdrängung […] inzestuöser Lüste“ [2]. Der aktive Mann benötigt dazu die Herstellung des nicht-männlichen, passiven Anderen (der zur Frau, zum Homosexuellen vereinheitlicht wird), um sich in deren Mangel an Autonomie selbst auszugestalten [3]. Dieses Autonomiestreben setzt die stetige Systematisierung ungeordneter Erfahrungen voraus. Diese Systematisierung erfolgt durch einen „Vorgang der Abstoßung, [der] »Identitäten« festigen kann, die auf der Instituierung des »Anderen« (oder einer Reihe von »Anderen«) durch Ausschließung und Beherrschung beruhen. Was die »Innen«- und »Außen«welten des Subjekts mittels Teilung konstituiert, ist eine Schranke und Begrenzung, die zum Zwecke der gesellschaftlichen Regulierung und Kontrolle stets schwach aufrecht erhalten wird.“ [4]

Der Andere wird durch diese Trennung erst zum Anderen, das Selbst dadurch erst zum ‚Eigenen‘. Jeder Diskurs, der eine Begrenzung des Körpers errichtet, tut das durch die Errichtung von Tabus über die Formen des Austauschs zwischen Individuen, der dadurch reguliert wird. Butler schreibt dazu:

„[Die] Umrisse ‚des Körpers‘ [werden] durch Markierungen gezogen […], die versuchen, bestimmte Kodes der kulturellen Kohärenz zu errichten. Jeder Diskurs, der die Begrenzung des Körpers zu errichten versucht, dient dem Zweck, bestimmte Tabus zu setzen und rational zu begründen. Diese Tabus betreffen die geeigneten Schranken, Haltungen, Formen des Austauschs, die definieren, was den Körper konstituiert: …die Vorstellungen vom Trennen, Reinigen,  Abgrenzen und Bestrafen (haben) vor allem die Funktion, eine ihrem Wesen nach ungeordnete Erfahrung zu systematisieren. Nur dadurch, dass man den Unterschied zwischen Innen und Außen, Oben und Unten, Männlich und Weiblich, Dafür und Dagegen scharf pointiert, kann ein Anschein von Ordnung geschaffen werden.“ [5]

Die Unterscheidung von Innen und Außen, in mein und dein Körper ist also keine bloße Beobachtung eines anatomisch Gegebenen, sondern selbst Ergebnis dieser kontingenten Grenzziehung. Butler zeigt damit, dass Körper nur hintergründig anatomisch-biologische Grenzen besitzen und die ‚Anatomie‘ vorrangig als Vorwand des gesellschaftlichen Tabus ins Feld geführt wird: „Die Analyse legt nahe, dass die Schranke des Körpers niemals bloß durch etwas Materielles gebildet wird, sondern dass die Oberfläche des Körpers: die Haut, systematisch durch Tabus […] bezeichnet wird.“ [6]

Die vergebliche Ich-Identität basiert also auf der gewaltsam künstlichen Trennung vom Anderen und erhält sich durch dieses Othering, also der Fremdmachung des ‚Anderen‘, um die Ich-Identität durch Abgrenzung zu stärken: Das tut den Dingen immer Gewalt an, es zwingt dem Ungeordneten eine Ordnung auf [7]. Doch es besteht Hoffnung, diese künstlich-männliche Illusion von Autonomie, die inzestuöse Lüste ordnende Identifizierung und die gewaltvollen Folgen dieser Illusion diskursiv zu überwinden. Butler schreibt dazu: „[Die] »Ungeordnetheit« [kann] auch neu als Gebiet kultureller Ungeregeltheit und Unordnung reformuliert werden“ [8]. Das Chaos als positives und nicht bedrohliches Gegenteil von Ordnung kann wieder entstehen, wenn die Tabus, die den Körper ordnen und die einstige, chaotische Vielfältigkeit an Körpererfahrungen überwanden, selbst aufgelöst werden: Es scheint also eine Rechaotisierung der Körpererfahrungen möglich.

Christina Türmer-Rohr weist darauf hin, wie diese Rechaotisierung bei Butler ausgedrückt wird, wenn sie festhält, dass ”Butler [diesen Gedanken] […] in passivischen Wendungen [formuliert] – über sich selbst und den eigenen Souveränitätsanspruch hinausgetragenwerden, in meinem Selbstsein herausgefordertwerden, vom Anderen herausgerufenwerden, Enteignetwerden –, Wendungen, die signalisieren, dass ich angesichts der Existenz der Anderen das Recht auf Souveränität einschränke oder abgebe, von ihnen enteignet bin.“ [9]

In dem Anspruch auf Autonomie, der die Verletzlichkeit und Abhängigkeit, weil gesellschaftliche Bedingtheit des Leibes verleugnet, den Körper mit seinen Öffnungen, seinem faktischen an-den-Anderen-Ausgeliefertsein und irrationalen Regungen zu einem bedrohlichen Feind erklärt, der nur durch Ausschluss und Normierung gezähmt werden kann, reproduziert sich die Heteronormativität auch vielfältig in liberal-, radikal-, aber auch in materialistisch-feministischen Theorien und Bewegungen in Form des Gedankens der Emanzipation, da diese Zielsetzung das Abgrenzen und Überschreiten von Abhängigkeit, die Subjektwerdung der ‚Frau‘ meint. Wie viel Geltung kann ein solcher Feminismus beanspruchen, dessen erstes Ziel vor allem ist, das Subjektsein, die Autonomie, die Souveränität über den als ‚eigenen‘ konstruierten Körper anstatt zu hinterfragen und selbst als Problem zu erkennen, auch für sogenannte ‚Frauen‘ erkämpfen zu wollen?

Der Glaube an ein autonomes Subjekt ist also selbst Ergebnis eines heteronormativ-männlichen Diskurses. Doch dass die Dekonstruktion beim Thema Freiheit und Selbstbestimmung in queeren Kreisen pausiert wird, ist ein Hinweis auf deren Inkonsequenz und dem (unbewussten) Festhalten an der heteronormativen Ideologie des souveränen, über sich selbst bestimmenden Subjekts. Die konsequente Folge der Erkenntnis, dass die Grenzziehung zwischen meinem und deinem Körper der Ausgangspunkt von letztlich auch globaler Abschottung, Zähmung und Vernichtung des als dadurch überhaupt erst als anderen konstituierten ‚Anderen‘ ist, wäre die konsequente Ablehnung des Gedankens eines souveränen Subjekts in jedem Bereich. Durch Butler wissen wir, dass der Diskurs, der diese gewalttätige Grenzziehung zu verschulden hat, eben nicht unabhängig des beteiligten ‚Subjekts‘ stattfindet, sondern immer wieder neu zu seiner Konstituierung veranschlagt werden muss. Die Konstituierung eines Subjekts ist aufwendig: Der Anreiz, ein Subjekt zu werden, ist ohne Zweifel gesellschaftlich vermittelt, um aber tatsächlich Subjekt zu werden und zu bleiben, muss man ständig wie ein Subjekt agieren, sich andauernd neu abgrenzen, sich der Verschmelzung mit dem ‚Anderen‘ aktiv erwehren. Subjektwerdung ist also kein endgültiger Zustand, sondern ein performativer Akt: Doing Subject. Das Ziel einer queeren Bewegung muss also ein ständiger Prozess des Undoing Subject sein. Nur das Ende des Subjektseins stellt eine tatsächliche Lösung dar.

Zum Diskurs der ausschließenden Subjektwerdung zählen die oben von Butler erwähnten bestimmten Formen des Austausches, bzw. die Art und Weise, wie diese Formen des Austausches konnotiert und benannt werden. Das soll im zweiten Teil am Narrativ der sexuellen Selbstbestimmung und Begriffen wie ‚S_ex‘ , ‚Homo_sexualität‘ und Begriffen zur ‚sex_uellen Gewalt‘ deutlicher gemacht werden.

Autor:in: Jessie K. ist nichtbinär und Student_in der Ethnologie und Geschlechterstudien an der HU Berlin und beschäftigt sich vor allem mit Queer Theory und dem Kampf gegen die Cis-Heteronormativität.

[1]. Vgl. Butler, Judith (1991), Das Unbehagen der Geschlechter, 19. Aufl.,  Frankfurt am Main, S. 43.

[2]. Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, S. 76f.

[3]. Vgl. ebd., S. 75.

[4]. Ebd., S. 197.

[5]. Ebd., S. 193.

[6]. Ebd.

[7]. Vgl. ebd., 211.

[8]. Ebd., S. 193.

[9]. Thürmer-Rohr, Christina (2015), Kontroversen zur Kohabitation. »Denken von anderswo«, in: Feministische Studien, Vol. 33:2, Stuttgart, S. 308-322, hier S. 318.

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