„Hier stehe ich“, sagt die Stellungnahme, „du kannst mir vertrauen.“

„Hier stehe ich“, sagt die Stellungnahme, „du kannst mir vertrauen.“

Wer Stellung bezieht, bezieht zwangsläufig Stellung zu etwas. Man positioniert sich in einem Diskurs, bezieht Stellung für ‚eine Seite‘ und dies quasi öffentlich, sich bekennend, eben so, dass andere einordnen können, wozu/wogegen Stellung bezogen/eingenommen wird. Doch was sagt diese Positionierung, die Stellungnahme eigentlich aus? Sie sagt: hier stehe ich.

Ich, eine Person bezieht Stellung zu etwas, zu jemandem. In diesem Stellungbeziehen gibt die Person weit mehr über sich Preis, denn über den Gegenstand, zu dem sie sich positioniert. In der Stellungnahme, die einen Inhalt, eine Sache bestärken soll, tritt so zugleich der Inhalt der Sache in den Hintergrund und die stellungbeziehende Person in den Vordergrund. In meiner Stellungnahme äußere ich, wo ich mich innerhalb eines Diskurses verorte – und dies kann weit mehr aus über mich, denn über den Diskurs aussagen. Es geht keineswegs darum, durch eine Stellungnahme eine richtige/wahre oder falsche Position kundzutun, sondern darum, als Person für eben jene Position einzustehen. Es geht darum, die eigene Positionierung – durch eine Meinung oder Haltung – zu bezeugen.

Paul Ricœur schreibt in Das Selbst als ein Anderer, dass die Bezeugung eine Art der Gewissheit darstellt.[i] Etwas Bezeugen ist demnach nicht Wissen über oder von etwas darstellen, sondern eine Stellungnahme, die auf einer Gewissheit beruht. Diese gewissenhafte Stellungnahme, die Bezeugung, widersetzt sich quasi „gerade grundsätzlich dem Begriff der epistèmè, des Wissens, sofern man dieses als letztgültiges und sich selbst begründetes Wissen versteht.“[ii] Die Stellungnahme, wenn man sie als Bezeugung versteht, stellt so eine Art Glauben dar[iii], und kein epistemisches Wissen. Ricœur betrachtet die Bezeugung jedoch nicht als doxischen Glauben, „in dem Sinne wie die doxa – das Meinen – weniger Anrecht als die epistèmè, die Wissenschaft, oder besser das Wissen, besitzt“[iv], sondern unterscheidet das doxische ‚Ich glaube, dass‘ vom Glauben, das der Bezeugung innewohnt. Die Bezeugung gehört für Ricœur zur Sphäre des ‚Ich glaube an‘.  Wo das ‚Ich glaube, dass‘ einen klaren Bezug zum Wissen hegt (Bsp.: Ich glaube, dass etwas wahr/falsch ist.), verwehrt sich das ‚Ich glaube an‘, dem Postulat des Wissens. Im ‚Ich glaube an‘, wird die Nähe und etymologische Verwandtschaft des Bezeugens und des Zeugnisses deutlich, „insofern man an das Wort des Zeugen glaubt.“[v]

Doch welche Wertigkeit hat diese Bezeugung, dieses ‚glauben an‘, im Sinne einer Stellungnahme? Inwiefern ist auf die Bezeugung oder die Stellungnahme Verlass, wenn sie sich dem Reich des Wissens entzieht? Laut Ricœur kann man sich, wenn man bezeugt, „ausgehend vom Glauben, oder, wenn man so will, vom Kredit […] auf keinerlei höhere epistemische Instanz berufen“[vi], als auf sich selbst, denn „die Bezeugung ist grundlegend eine Selbstbezeugung“[vii] und nimmt zunächst einmal keinerlei Garantiecharakter für sich in Anspruch. Die Bezeugung ist, um es mit Ricœurs Worten zu sagen, ein garantieloser Kredit. Ihr gegenüber steht zunächst als ihr spezifisches Gegenteil das Misstrauen. Die Bezeugungen und Stellungnahmen im bezeugenden Sinn haben so eine ganz eigene Fragilität.[viii] Die Verwundbarkeit der Bezeugung tritt im ständig möglichen Misstrauen ans Licht und auch daran verdeutlichen sich die Nähe und Verwandtschaft von Bezeugung und Zeugnis. Ricœur bringt es auf den Punkt: „Gegen das falsche Zeugnis gibt es kein anderes Mittel als ein anderes, glaubwürdigeres Zeugnis: Und es gibt kein anderes Mittel gegen das Mißtrauen als eine vertrauenswürdigere Bezeugung.“[ix] Gegen eine Stellungnahme, der ich misstraue oder die ich für nicht angemessen halte, kann ich also zunächst nur eine eigene Stellungahme darbringen.

Die Bezeugung ist grundlegend erst einmal Selbstbezeugung und fordert zwischen Bezeugendem und Bezeugungs-Erfahrendem ein besonderes Verhältnis, um als glaubwürdige Bezeugung oder glaubwürdige Stellungnahme Fuß zu fassen. Die Bezeugung fordert ein Vertrauensverhältnis. Dieses Vertrauensverhältnis ist, Martin Hartmann folgend, seinerseits ein besonderes, denn, „wir können nur vertrauen […], wenn wir nicht vertrauen müssen“[x], was in kurz bedeutet: „Zwangsverhältnisse und Verhältnisse gegenseitigen Vertrauens schließen sich aus.“[xi]

Doch warum halten wir dann manche Stellungnahmen und Positionierungen für vertrauenswürdig und andere nicht? Eben aus dem Grund, dass es bei Stellungnahmen und Bezeugungen vordergründig nicht um ihren Inhalt geht. Natürlich spielt es eine Rolle, wie logisch argumentiert die Stellungnahme dargebracht wird und wie schlüssig sie ist; dennoch können auch logische und gut argumentierte Stellungnahmen das Misstrauen wecken. Dies geschieht zumeist dann, wenn wir der Person ‚nicht trauen‘.

Welche Gründe haben wir also überhaupt, einer Person zu vertrauen oder zu misstrauen? „Wenn wir mit anderen kommunizieren, vertrauen wir immer schon darauf, dass das, was sie sagen, in wahrhaftiger Absicht geäußert wird. Wir müssen nicht unbedingt glauben, dass das, was sie sagen, wahr ist, aber wir müssen glauben, dass das, was sie sagen, das ist, was sie für wahr halten.“[xii] Wir vertrauen also darauf, dass Aussagen mit der Absicht der Wahrhaftigkeit getätigt werden und die Aussagenden das, was sie äußern für wahr halten – zunächst unabhängig davon, ob es allgemeingültig wahr ist oder nicht. Jede Bezeugung, die wir erfahren, bezeugt das, woran unser Gegenüber glaubt und nicht, ob das, woran er*sie glaubt, im klassischen Sinn allgemeingültig wahr ist. Kurz: Wir vertrauen also in der Regel darauf, dass das, was gesagt wird, wahr ist. Wir vertrauen auf ein unausgesprochenes Versprechen, dass die stellungbeziehende Person in einer Selbstbezeugung von dem, wozu sie im positiven Sinne Stellung bezieht, überzeugt ist. Diese unausgesprochenen, aber von uns mitgedachten und erwarteten Versprechen „können nur im Rahmen einer Praxis […] wirksam sein, die gleichsam die Bedingungen spezifiziert, unter denen es möglich ist, etwas zu versprechen. Mit anderen Worten: Wenn wir etwas versprechen, nehmen wir eine Verpflichtung auf uns, die wir nicht hätten, wenn wir das Versprechen nicht geäußert hätten.“[xiii] Ein Versprechen ist eine Art selbstauferlegte Pflicht, die wir nur erfüllen müssen, wenn wir versprechen. Die Praxis des Versprechens macht also erst versprechen möglich. Diese Versprechen sind geprägt, von den Erwartungen des Anderen, der auf mich zählt und erwartet, dass ich mich an mein Versprechen halte.  „‚Von dir‘, sagt der Andere, ‚erwarte ich, daß du dein Wort hältst‘; und dir antworte ich: ‚Du kannst auf mich zählen‘.“[xiv] Von dieser Formulierung Ricœurs – in der Lévinas‘ Anruf Hier, sieh mich! mitklingt – lässt sich wiederum anknüpfen an die „vertrauenswürdige[ ] Bezeugung“[xv], die verdeutlicht, dass eigentlich jedes Bezeugen eine Art Versprechen ist, nämlich das Verspechen zu bezeugen. Jedes bezeugende Stellungbeziehen als Selbstbezeugung – welche immer nur im Weg über oder durch den Anderen möglich ist –, ist ein Einstehen für, ein Einstehen dafür, dass wir für das bürgen, was wir bezeugen, dass wir das, wozu wir Stellungbeziehen, auch für wahr halten.

Als bezeugende, versprechende und stellungbeziehende Wesen sind wir in hohem Maße für unser Vertrauen verantwortlich. „Wenn jemand uns gegenüber eine Behauptung aufstellt, die wir glauben sollen, übernimmt er damit Verantwortung für das, was wir glauben, und hat diese Verantwortung freiwillig übernommen.“[xvi] Und wenn wir für etwas Stellungbeziehen, so übernehmen auch wir diese Verantwortung gegenüber den Anderen.

Natürlich können wir misstrauen, eine Bezeugung oder Stellungnahme als solche anerkennen, und ihr dennoch kein Vertrauen schenken. Wir können dann jedoch anerkennen, dass die Stellung beziehende Person bezeugt, dass sie an das, was sie bezeugt glaubt und können dennoch die Ausführungen für unwahr, falsch oder mangelhaft halten. In diesem Fall bezeugen wir jedoch selbst zugleich unseren Verdacht/unser Misstrauen und beziehen Stellung gegenüber der Stellungnahme.  „Viele unserer Überzeugungen gewinnen wir, indem wir glauben, was andere uns mitteilen, ohne dass wir in der Lage wären, diese Mitteilungen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. […] Wir glauben diese Dinge freilich nur, wenn wir die jeweilige Informationsquelle für glaubhaft und kompetent halten. […] Wir wissen vieles, von dem, was wir zu wissen glauben, weil andere uns ihr Wissen mitgeteilt haben, ohne dass wir in der Lage wären, für dieses Wissen mehr anzuführen als nur die Tatsache dieser Mitteilung.“[xvii]

Die bezeugend stellungnehmende Person behandelt die Tatsache, dass sie von etwas überzeugt ist, gleichsam „als Grund für uns, diese Überzeugungen zu übernehmen, und bürgt damit auch für die Wahrheit dieser Überzeugungen.“[xviii] Im Sinne Ricœurs ist die Person, die bürgt, diejenige, die etwas aufs Spiel setzt, die aufs Spiel setzt, ihre Kreditwürdigkeit zu verspielen.[xix] „Wenn uns jemand etwas mitteilt, behandeln wir das Mitgeteilte nicht einfach als Evidenz, sondern wir erkennen, dass wir glauben sollen, was gesagt wird, weil es in intendierter Weise gesagt wird. Als Hörer können wir die Autorität des Sprechenden anerkennen“ und wenn uns seine Autorität, seine Bezeugung, seine Wahrhaftigkeit überzeugen, so können wir seine Überzeugungen übernehmen, „weil er auf glaubwürdige Weise für die Wahrheit seiner Aussagen gebürgt hat, aber wir sind nicht genötigt, diese Anerkennungsleistung zu erbringen.“[xx]

Durch die bezeugende Äußerung meines Misstrauens, mein Stellungbeziehen zu einer Stellungnahme, kann ich produktiv Kritik üben und können Widerworte ihren Platz finden. Das Offenlegen der Vertrauenspraxis und das Sprechen darüber können Gesprächssituation öffnen. Denn wir vertrauen dem*der Sprecher*in, der bezeugenden Person nicht, weil wir ihr vertrauen müssen, wir vertrauen ihr, weil wir ihre Autorität in der Situation anerkennen. Dies impliziert wiederum, dass wir die Person für vertrauenswürdig halten.[xxi]

Bezeugen und Anerkennen setzen also in einem gewissen Maß Vertrauen voraus. Dieses Vertrauen ist jedoch nicht einfach gegeben, sondern entwickelt sich. Vertrauen ist ein stetiger Lernprozess und als dieser eng an Wahrhaftigkeit und Authentizität gebunden. Wir erwarten von anderen, unseren Bezeugungen Glauben zu schenken und gleichzeitig, dass sie selbst so bezeugen, dass sie vertrauenswürdig bezeugen. Unsere Erwartungshaltung ist also eine Art Wunsch nach einer Wahrhaftigkeit der eigenen, so wie der fremden Bezeugung, die jeder Stellungnahme innewohnt.

Literatur:
Hartmann, Martin (2011): Die Praxis des Vertrauens, Berlin.
Ricœurs, Paul (2005): Das Selbst als ein Anderer, München.


[i] Vgl. Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32.
[ii] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32.
[iii] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32.
[iv] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32.
[v] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32.
[vi] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.32f.
[vii] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.34.
[viii] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.34.
[ix] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.34.
[x] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 119.
[xi] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 119.
[xii] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 121.
[xiii] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 119.
[xiv] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.325.
[xv] Ricœur, Das Selbst als ein Anderer, S.34.
[xvi] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 133.
[xvii] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 126.
[xviii] Hartmann, Die Praxis des Vertrauens, S. 133.
[xix] Vgl. Ricœur, Paul: Das Selbst als ein Anderer, München 2005, S.33.
[xx] Hartmann, Martin: Die Praxis des Vertrauens, Berlin 2011, S. 133.
[xxi] Vgl. Hartmann, Martin: Die Praxis des Vertrauens, Berlin 2011, S. 134.

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